Laudatio von Manfred Etten

 

 

„Die Prinzessin“ heißt die Ausstellung, und zwar „Die Prinzessin – Ausrufezeichen!“. Das Ausrufezeichen steht da nicht zufällig; Nadja Hormisch und Beate Lambrecht haben es bewusst und aus guten Gründen da hingesetzt. Aber aus welchen Gründen?

 

„Die Prinzessin – Ausrufezeichen!“ – das kann heißen: Hoppla, hier kommt die Prinzessin, mit Pomp und Getöse! Wow, schau Dir die mal an! Der Star hat seinen Auftritt auf dem roten Teppich, zieht alle Blicke auf sich. Ja, die Prinzessin ist unübersehbar, sie kommt kraftvoll und selbstbewusst daher, zeigt Flagge, zeigt ihre Farben, ihre Fahne, ihren Banner; zeigt ihren Schmuck, ihre Schätze…

 

Das Ausrufezeichen kann man aber sozusagen auch flüstern: Da – die Prinzessin! So flüstert man, wenn man ein seltenes, vom Aussterben bedrohtes, scheues Tier endlich zu Gesicht bekommt. Da fliegt, schwebt, läuft, huscht etwas vorbei – eine Erscheinung! – und ist auch schon wieder verschwunden. Das Ausrufezeichen ist hier also Ausdruck für unser Erstaunen; es ist die Gänsehaut, die diese flüchtige Erscheinung beim Betrachter erzeugt. Und wir fragen uns: Wer und wo ist diese Prinzessin? Ist sie real? Oder ist sie nicht von dieser Welt? Ein Bild? Eine Einbildung?

 

Beides ist vorhanden in den Objekten, die Beate und Nadja geschaffen haben: Die Pracht und der stoffliche Reichtum der Prinzessin; die königliche, große Geste – aber gleichzeitig und untrennbar damit verbunden auch das Leise und Kleine, das unscheinbar Wirkende, beinah Unsichtbare, das Transparente, die fast schon mikroskopischen Strukturen und die winzigen Bausteine dieser Prinzessinnen-Welt. Die sieht freilich nur derjenige, der allergrößte Aufmerksamkeit auch für die vermeintlichen Petitessen aufbringt. Das heißt: die reiche Pracht erkennt, die auch und gerade in diesen eigentlich bescheidenen Materialien steckt.

 

Was klar sein sollte und uns auf den ersten Blick auch sofort klar wird: Diese Prinzessin, wie sie Beate Lambrecht und Nadja Hormisch hier ausstellen, darstellen, beschwören, zum Leben erwecken, erfinden; gefilzt, gestickt, genäht, gezeichnet und gequiltet haben – diese Prinzessin entspricht nicht dem bekannten Klischee, nämlich „gelangweilt, verwöhnt und auf den Märchenprinzen wartend“. Beates Prinzessin ist wild und weise, hat etwas Erdverbunden-Indianisches oder Mongolisches. Nadjas Prinzessin wirkt abendländischer; ein ätherisches Nachtgeschöpf mit Hang zur Melancholie. Beiden ist jedoch gemeinsam: Sie sind frei und unabhängig, haben Respekt vor allem Lebendigen – und spüren dieses Lebendige notfalls auch durch zwanzig Matratzen und zwanzig Eiderdaunenbetten hindurch.

 

Jedes dieser Prinzessinnen-Objekte steht für sich, steht aber auch mit den anderen Objekten in einem Dialog – und steht hier in der alten Synagoge in Ahrweiler nun auch im Dialog mit einer wunderschönen Architektur und einer magischen Atmosphäre des Orts, in dem schönsten und passendsten Ambiente, das die beiden Künstlerinnen bisher für ihre Prinzessin gefunden haben.

 

Das Ganze erscheint mir wie ein großes Suchbild, in dem sich die scheinbar abwesende Prinzessin mit dem Ausrufezeichen irgendwo versteckt. Das Ausrufezeichen heißt also auch: Augen auf und aufgepasst! Es gibt viel zu entdecken!